Sudetenland 1/2018

Die erste Sudetenland-Ausgabe 2018 ist so gut wie fertig und wartet mit einem sehr schönen Schwerpunkt auf: Jiří Menzel hatte am 23. Februar seinen 80. Geburtstag. Genau an diesem Tag hätte er auf der Berlinale zur Weltpremiere von Martin Šulíks Tlumočník (Der Dolmetscher) die Auszeichnung mit der „Berlinale Kamera“ entgegennehmen sollen. Weil Menzel schwer erkrankt und verhindert war, nahm die Auszeichnung stellvertretend Peter Simonischek entgegen.

Im Hauptthema Menzel geht es natürlich um die Nová Vlna, um Bohumil Hrabal und um den Oscar (1968) für die kongeniale Hrabal-Verfilmung Scharf beobachtete Züge (Ostře sledované vlaky). Die gute Nachricht: Das gibt es mit deutschen (und französischen) Untertiteln mittlerweile bei trigon-film als DVD für Habenwoller und als Stream für alle Neugierigen. Dazu hat trigon außerdem zwei weitere Menzel-Werke im Programm: Lerchen am Faden (Skřivánci na niti, 1990) und Ein launischer Sommer (Rozmarné léto, 1968). Zusammen mit dem Dokumentarfilm To Make a Comedy Is No Fun, in dem Filmgrößen wie Miloš Forman und Věra Chytilová von ihrer Arbeit mit Menzel erzählen, gibt es die drei auch als Jiří-Menzel-Box. Das Interview mit dem Dokumentarfilmer Robert Kolinsky wiederum darf der Adalbert-Stifter-Verein in dieser Sudetenland-Ausgabe abdrucken. Zu Menzel findet man außerdem gute Wortmeldungen von Jaroslav Šonka, Daniel Fischer und Eduard Schreiber, der sich an die frühe Menzel-Rezeption durch den FDJ-Filmklub im Leipziger Casino erinnert. Der Schwerpunkt des Schwerpunkts ist aber ein (gekürzter) Vorabdruck aus dem Band Klassiker des tschechischen und slowakischen Films, den Prof. Christer Petersen mit Nicole Kandioler und Anke Steinborn am Lehrstuhl Angewandte Medienwissenschaften der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg vorbereitet (als Band 2 der Reihe Klassiker des osteuropäischen Films im Schüren Verlag, Marburg). Dr. Eva Binder rückt darin Scharf beobachtete Züge in den Fokus, und ihr gelingt eine sehr gute, sachkundige, fundierte und umsichtige Annäherung, die sich sehr gut liest und neugierig macht – ein prima Einstieg Richtung Menzel. Passend dazu hat Gerti Brabetz für die Rubrik Wiedergelesen noch einmal Bohumil Hrabals Ich habe den englischen König bedient wiedergelesen.

Weil jedes Sudetenland-Heft mit einem historischen Thema auspendelt, steht diesmal außerdem der (Zweite) Prager Fenstersturz vom 23. Mai 1618 im Mittelpunkt. Wer immer schon wissen wollte, was es damit auf sich hat, wie man aus der Prager Burg in den Dreißigjährigen Krieg kommt und wie das Ganze zu werten ist, greife zu Alexandra Dunkels präzisem Abriss des Themas. Besser werden Sie das sonst kaum kriegen. Auch die Frage „Misthaufen – ja oder nein?“ klärt sich, nämlich so: Wohl kaum. Auf literarischer Seite hat sich Bernd Rill Franz Grillparzers Ein Bruderzwist in Habsburg vorgenommen, und als dichterische Dokumente zum Thema gibt es passende Ausschnitte aus Ricarda Huchs Der große Krieg in Deutschland (mit Misthaufen), Friedrich Schillers Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs (ebenfalls mit Misthaufen) sowie Oskar Schürers Prager Stadtgeschichte.

Das ist natürlich längst nicht alles. Im Feuilleton erzählt Wolfgang Sréter von der Entstehung des Stifter-Obelisken am Plöckenstein/Plechý, Ralf Pasch konstruiert aus der Biografie seines Großvaters Alois Pasch eine Parallelgeschichte zum Lebenslauf Fritz Schaleks. Dieser figuriert als eine der fünf historischen Figuren der Schalek-Familie prominent in Paschs derzeitiger Wanderausstellung Die Schaleks – eine mitteleuropäische Familie. Serafine Lindemann stellt das deutsch-tschechische Kulturfestival Im Zentrum/V centru (im Altvatergebiet) vor, es gibt Gedichte von Ursula Haas (aus Wortfisch im grünen Aquarium), die Farbtafeln stammen diesmal von Michael Coudenhove-Kalergi, mit einer Einführung von Hansjürgen Gartner), und Peter Becher fand sich kopfüber im Kaffeehaus wieder (nämlich im australischen Sydney im Old Vienna Coffee House).

Auf zwei schöne Besonderheiten ist noch hinzuweisen: Da wäre erstens die Karikaturenkolumne von Jozo Džambo. Ihm ist im Blätterböhmerwald 1938 der Right Honourable Viscount Runciman of Doxford erschienen, der einmal (im Kladderadatsch) mit Adalbert Stifter konversiert, ein andermal (im Simplicissimus) mit Woodrow Wilson. Und da ist zweitens das Übersetzerforum. Daniela Pusch hat sich hier an eine Neuübersetzung von Karel Čapeks Erzählung Šlépěj gewagt: Der Fußstapfen.

Abgerundet wird das Heft von den Laudationes der Kulturellen Förderpreise der Sudetendeutschen Landsmannschaft 2017: Geehrt und gewürdigt werden Philipp Schiepek (Musik), Barbora Větrovská (bildende Kunst und Architektur), Kateřina Kovačková (Literatur und Publizistik), Katharina Anna Aubele (Wissenschaft) und Eva Čapková (Volkstumspflege). Im Rezensionsteil bespricht Helga Unger Johanna Anderkas neuen Lyrikband Die Wirklichkeit der Bilder, und Franz Adam nimmt die Jaromír-Weinberger-Aufnahmen von Schwanda der Dudelsackpfeifer (1979/80) und Wallenstein (2017) zum Anlass, eine Weinberger-Renaissance in Tschechien einzufordern, damit auch dort „einem verkannten bedeutenden Komponisten des 20. Jahrhunderts endlich Gerechtigkeit widerfährt“. Franziska Mayer berichtet von der Gablonzer Bijouterie und den Ausstellungen im Tschechischen Zentrum München (454 km – Zwei Schulen begegnen sich) sowie in der Pinakothek der Moderne (Jablonec ’68). Eine wichtige Zeitzeugen-Lektüreempfehlung gibt schließlich Otfried Pustejovsky: Fridolín Macháčeks Pilsen – Theresienstadt – Flossenbürg. Die Überlebensgeschichte eines tschechischen Intellektuellen.

Die Sudetenland-Ausgabe 1/2018 gibt es direkt beim Adalbert-Stifter-Verein in München.